In der Nachbarschaft: An der Leipziger Strasse

Mobbing 1652

Orthea Döll bat 1652 die landgräfliche Regierung, dass sie, „eine betrübte und von jedermann verlassene, dazu noch in unverdienter Weise angefeindete Witwe sowie ihre vaterlosen Kinder nach so langer höchstbeschwerlicher Unterkunft an anderen Orten wieder in Oberkaufungen wohnen könne, damit sie nicht in gänzliche Armut und dem Bettelstab verfalle. Sie wolle nicht den von ihren gehässigen Nachbarn auferlegten greulichen und unwahren und durch nichts beweisbaren Beschuldigungen aus dem Wege gehen und erklärt sich bereit, nach Aufforderung sich zu stellen, um ihre Unschuld zu beweisen.“
Was war passiert? Durch Funkenflug war das Haus der Oberkaufungerin in Brand geraten und hatte Nachbarhäuser angesteckt. „Der entstandene Schaden sei aber nicht so hoch, wie er von den [sieben] brandgeschädigten Nachbarn angegeben worden wäre“, schrieb sie. „Nicht alle Gebäude, sondern nur etliche seien ganz, von den übrigen die Dächer abgebrannt. Um weiterem Unglück zuvorzukommen, sind auch letztere ganz abgerissen worden.“ Nachbarn bezichtigten sie, bereits 1617, 1640 und 1651 Brände verursacht zu haben, sie sei eine Hexe. Orthea Döll klagte, man hätte ihr die aus dem brennenden Haus geretteten Möbel weggenommen und sie mit dem Tod bedroht; sie verstecke sich bei Verwandten. Nun bat sie die Regierung um Schutz vor den gewalttätigen Nachbarn: Denn am Pfingstsonntag gegen Mitternacht seien zehn Personen mit einer Leiter in das neue Haus ihres Kindes eingestiegen, hätten von einem Schlosser die Zimmer aufbrechen lassen und sie überall, sogar im Backofen und in leeren Fässern gesucht. Mutig forderte sie, die Nachbarn sollten binnen kurzer Zeit die ihr zur Last gelegte Hexerei beweisen oder ihr entsprechende Genugtuung widerfahren lassen.
Dem von der Regierung um Untersuchung gebetenen Oberkaufunger Oberschultheißen konnte – obwohl er die Brandgeschädigten mehrmals vor dem Rüge- und Landgericht eidlich vernommen habe – von keinem ein einziges „corpus delicti“ genannt werden, auf Grund dessen die Verdächtige als Hexe „zu inquirieren“ sei. Keiner habe die Beschuldigte diffamiert. Dies müsse erst von Orthea Döll bewiesen werden. Man hätte ihn jedoch daran erinnert, dass bereits mehrere Brände vom Haus der Nachbarin ausgegangen seien und sah in der Rückkehr der Familie eine Gefahr.
Wahrscheinlich endete die Angelegenheit mit einem Vergleich: Die Geschädigten verzichteten auf die von Orthea Döll während des Feuers aus Angst versprochenen 3000 Reichstaler Schadensregulierung und die Witwe kehrte nicht mehr nach Oberkaufungen zurück. Ob die üble Nachrede unterbunden wurde?