Der ehemalige Niederkaufunger Franz S. und seine Frau folgten der Einladung der Gemeinde zum Ortsjubiläum

Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 19.9.1986

Hintergrund

Verhaftet, bedroht und drangsaliert

„Wer aber konnte sich damals schon vorstellen, dass die Faschisten mit derartiger Brutalität gegen ihre politischen Gegner vorgehen würden?“ Franz S. beschrieb 1978 seine Verhaftung und Abschiebung:
In der Wirtschaftskrise arbeitslos geworden, verdingte sich der Maschinenschlosser als Erntehelfer. Beim Abholen des Arbeitslosengeldes im Niederkaufunger Feuerwehrhaus wurde der Zwanzigjährige am 8. März 1933 mit seinem älteren Bruder Hans verhaftet. Andere Arbeitslose und Nachbarn protestierten, „mit entsicherten Pistolen hielt die Polizei die aufgeregte Menge in Schach“. Man verfrachtete die Brüder ins Kasseler Polizeipräsidium und verhörte sie. Hans konnte man Ende März abschieben: Um heiraten zu können, hatte er sich einen Schweizer Pass besorgt. Franz wurde in Schutzhaft genommen. „Die alten ehemaligen Wärter, die meisten wurden ja später alle durch SA und SS-Männer ausgewechselt, waren grösstenteils noch anständig mit den Gefangenen, denn die Verhafteten waren ja fast ohne Ausnahme anständige Bürger, nur dass sie den Fehler hatten, keine Nazis zu sein.“ Bei Hungerkost, miserablen hygienischen Verhältnissen und ohne ärztliche Versorgung hielt man die jungen Männer wochenlang fest. „Die Greueltaten der Nazis, speziell der SA-Männer, erfuhr ich immer wieder von den Neuverhafteten… Besonders die Schreie der halb zu Tode Geprügelten liegen mir noch gut in den Ohren.“ Erst im Gefängnis erfuhr Franz S., dass die Brüder von einem SS-Mann wegen Körperverletzung verklagt worden waren. Eine NSDAP-Zeitung hatte eine Prügelei im Januar 1933 zu Propagandazwecken veröffentlicht: „Kommunistischer Terror in Niederkaufungen – Schweizer Deserteure mißhandeln deutsche Erwerbslose!“ (12.1.) und „Raus mit lästigen Ausländern! Eine Anfrage Pg. Dr. Roland Freislers an das Staatsministerium, 18. Januar 1933.“ Franz S. bot vier Fußballkameraden als Entlastungszeugen auf, jedoch setzte sich der Ankläger, ein ehemaliger Schulkamerad, durch. „Wegen schwerer Körperverletzung“ wurde der Niederkaufunger zu sechs Wochen und drei Tagen Gefängnis verurteilt. Er nahm auf Anraten von Freunden das Urteil an, nachdem die vier Entlastungszeugen ins Oberkaufunger Amtsgericht „zur Vernehmung“ geholt worden waren: „Sie wurden in den Keller spediert, wo sie von SA-Männern und SS halb tot geschlagen, und dann einfach zur Hintertüre hinausgeworfen wurden und schwer verletzt liegen blieben. Die meisten von ihnen waren so misshandelt worden, dass sie von ihren Angehörigen mit Handwagen heimgeholt werden mussten.“ Vom Polizeipräsidium in das Kasseler Zuchthaus verlegt, ist der Zwanzigjährige nach Strafende am 10. Juni 1933 in den Zug Richtung Schweiz gesetzt worden. Wie ein Schwerverbrecher bewacht, wurde er über Frankfurt, Zweibrücken, Heidelberg, Freiburg und Lörrach transportiert, immer wieder aus dem Zug geholt, im Gefängnis bedroht und schikaniert, bis er von seinen Bewachern an die Schweizer Polizei übergeben und nach Appenzell zur bereits ausgewiesenen Familie gebracht wurde. „Meine Reise von Kassel nach Basel hat genau 12 Tage gedauert… Aber keine deutsche Behörde konnte oder wollte [den beunruhigten Eltern] Auskunft über mich erteilen“.