Bildungschancen um 1945
„Als ich 10 Jahre alt war, wurde von der Schule empfohlen, wer auf die Mittelschule oder Hauptschule [ab 1938 für besonders begabte Volksschüler] gehen sollte – aber wohin denn? In Kassel war evakuiert… Wir waren 1944 in Hessisch Lichtenau ein halbes Jahr auf Probe. Wir drei Mädchen hatten bestanden, aber es fuhr dann kein Zug mehr nach Hessisch Lichtenau. Da haben die Eltern gesagt: ‚Dann kommt wieder zurück‘. Dann sind wir in Niederkaufungen wieder in die Volksschule gegangen, die habe ich bis 1948 weitergemacht. [Klassenkamerad] Adolf A… kam dann nach Kassel auf die Mittelschule, mein Bruder Jahrgang 1932 kam auf die Mittelschule – aber für mich war das nichts.“ Inge H., geb. 1934
„Ich bin ja 1944 konfirmiert und aus der Schule entlassen. Ich wollte gerne einen Beruf erlernen, aber dadurch, dass wir Landwirtschaft hatten, musste ich zuhause arbeiten.“ Lisa E. (Oberkaufungen), geb. 1930
„Mein Urgroßvater war Schuhmacher, da wollte ich unbedingt auch Schuhmacher werden, aber vom Arbeitsamt sollte ich ‚deutscher Bauer im Osten’ werden… aber mein Vater hätte das nie zugelassen. So bin ich doch Schuhmacher geworden… Orthopädieschuhmacher waren gefragt, die Kriegsversehrten mussten ja versorgt werden… Ich sollte am 1. April 1945 die Lehre antreten, ich konnte aber erst am 1.Mai anfangen wegen der Wirren an Kriegsende. Jeden Tag bin ich mit dem Fahrrad von Kaufungen nach Kassel gefahren. Am Anfang ist mein Vater mitgekommen, um mir den Weg [durch die Trümmerlandschaft] zu zeigen.“ Friedrich W., geb. 1931